[teaser]Ein Nachmittag im VGT-Aktivismuscamp.[/teaser]

Sogar stören will gelernt sein. Jagdstören vor allem. Man glaubt gar nicht, wie kompliziert sich das anlässt. Die Mitspieler sind auch, soviel steht fest, nicht von Pappe und durchaus nicht immer zimperlich – vor allem dann, wenn sie in echten Uniformen stecken und statt mit Stöcken mit echten Schußwaffen herumfuchteln könnten.

Jagdstörung ist eine der klassischen Aktionsformen der Tierbefreiung, bei der sich bis heute Tierrechtler_innen verschiedener Gruppierungen beteiligen, ob Reformist_innen oder Abolitionist_innen. Sie ist allerdings, ebenso wie die Jagd, in England und Österreich weit häufiger als in Deutschland. Mindestens in Berlin gehen wir ja bekanntlich eher selten Jagden stören. So war ich zuerst ein wenig enttäuscht, als an meinem einzigen Nachmittag beim Camp ausgerechnet Jagdstörung geübt werden sollte, statt Themen wie Blockaden, Run-Ins und andere Aktionsformen, die mich mehr interessierten.

Der einzig echte Jagdinteressierte war dabei übrigens ein Hund, aber die Hasen waren doch immer schneller als er. So kam niemand zu Schaden. Wir anderen teilten uns in drei Gruppen ein: Aktivist_innen, Jäger_innen und Polizei. Jeder sollte sich in die zugedachte Rolle einfühlen, um nachvollziehen zu können, wie Jäger_innen und Polizist_innen ticken und vorgehen. Der wichtigste Unterschied zum Vorgehen der Aktivist_innen ist der, dass beide Gruppen hierarchisch strukturiert sind und auf Jagdleiter_innen oder Vorgesetzte hören. Jede_r Aktivist_in hingegen wird im Idealfall in jedem Moment autonom handeln, immer in Kontakt und Absprache mit den anderen, er beoachtet die Situation und wartet niemals auf Anordnungen, sondern handelt und entscheidet selbstständig. Wenn das funktioniert und die Interaktion der Aktivist_innen erfolgreich ist, sind sie damit den Befehlsempfänger_innen bei Polizei und Jägerschaft weit überlegen.

Im Umgang mit beiden gibt es wichtige Grundregeln. Dazu gehört vor allem die absolute Gewaltfreiheit, aber auch eskalationsdämpfende Verhaltens- und Gesprächsweisen. Und vieles mehr. Lustige Rollenspiele, die locker einen Nachmittag füllten, im wahrsten Sinn des Wortes viele neue Perspektiven eröffneten (und am Ende sogar den Hund außer Atem brachten). Ein älterer Dorfbewohner beim Spaziergang fragte eine hechelnde Aktivistin misstraurisch, was man denn dort treibe? Sie antwortete geistesgegenwärtig: eine Schnitzeljagd, und fügte dann erschöpft hinzu: „Aber ich mag das Spiel jetzt schon nicht mehr“, was den Fragenden sichtlich beruhigte – dann konnte es ja nicht so schlimm sein.

Was lernt mensch aus der Aktion? Die nächste Jagdstörung in Berlin-Mitte ist momentan nicht in Sicht. Was ich trotzdem interessant fand, war zu sehen, wieviel Planung und Strategie hinter einer solchen Aktion steckt – und erst recht wie eine Aktion, von der ich vorher allenfalls vage Vorstellungen hatte, mit einem konkreten Planungsablauf, klaren Strukturen und nach zweimaligem Durchspielen in verschiedenen Rollen sehr viel transparenter und machbarer wurde. Und damit auch erfolgversprechend. Das ist nicht nur für den unwahrscheinlichen Ernstfall interessant, dass sich einmal eine Jagdgesellschaft auf den Alexanderplatz verirrt, sondern kann auch auf alle anderen Aktionsformen übertragen werden, mit denen wir üben: Demos, Plakataktionen, Infostände, Flyer verteilen, aber auch Run-Ins oder Blockaden. Für alle gibt es ähnliche Erfahrungswerte, und für alle gibt es Strategien, die ausgearbeitet und geübt werden wollen. Ich denke, es wäre sinnvoll, wenn wir – gruppenübergreifend – beginnen, diese Strategien kennenzulernen und zu erarbeiten, um noch effektiver zu werden. Vielleicht sogar irgendwann mit einem eigenen Animal Liberation Workshop. Ich habe mal gefragt: Es gibt hier und da erfahrene Aktivist_innen und Campaigner_innen, die uns dabei helfen würden. Versprochen.