Macht’s die Milch wirklich?

Wir alle kennen die Slogans „Die Milch macht’s“ oder „Milch macht müde Männer munter“, mit der die „Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft“ (CMA) im Sinne der Milchviehwirtschaft für Milch warb. (Ähnlich wurde in den Fünfzigern und Sechzigern übrigens für die Gesundheit von Zucker geworben.) Milchproduktehersteller_innen – „so gesund wie ein Glas Milch“ – und Schokoladenproduzent_innen – „die Extraportion Milch“ – sprangen auf diesen Zug auf und verfestigten den Glauben der Bevölkerung daran, dass Milch gesund sei. Dieser Glaube wurde unter anderem durch die Argumentation genährt, dass Milch ein natürlicher Stoff sei und die chemische Analyse viele nützliche Bestandteile aufzeige. Studien, die die Gesundheit von Milch belegen, schienen aufgrund der Macht der offensichtlichen Evidenz überflüssig. Dabei gibt es viele natürliche Stoffe, die nicht als gesund gelten. Tabak zum Beispiel. Und aus der Analyse der Inhaltsstoffe auf die Gesundheit zu schließen, ist zumindest gewagt. Auch der Grünknollenblätterpilz enthält sicher wertvolle Eiweiße. So einfach ist es also nicht.

Milch nützt den Knochen wenig

Besonders hartnäckig hält sich die Meinung, Milchprodukte seien gute Kalziumlieferanten und würden so Osteoporose vermeiden helfen. Eine große, prospektive Langzeitstudie aus Harvard, bei der 75.000 Menschen über zwölf Jahre begleitet wurden, um die Auswirkungen von Milch auf deren Gesundheit zu untersuchen, konnte dies allerdings nicht belegen. Zwar enthält Milch Kalzium, und es wird auch aufgenommen, aber es hat keinen positiven Effekt auf die Knochen. Das liegt daran, dass Milch im Organismus sauer verstoffwechselt wird, also das Blut saurer macht. Um die Säure auszugleichen, wird Kalzium mit Phosphor gebunden und ausgeschieden – wie gewonnen, so zerronnen. Das geschieht bei Kindern ebenso, daher ist Milch auch für sie kein guter Kalziumlieferant. Der Zweifel an der positiven Wirkung von Milch auf Osteoporose existiert schon lange – auch die Studie aus Harvard ist bereits 17 Jahre alt – doch trotz vieler kritischer Studien wird oft eisern an der Milch als Kalziumlieferant festgehalten. Ein wichtiger Grund dafür ist der Einfluss der Milchviehwirtschaft. Oft geschieht dies unerkannt, manchmal jedoch auch ziemlich transparent. Wie das Netzwerk Osteoporose e.V. darauf kommt, ausgerechnet die Informationen der Milchviehwirtschaft zur guten Wirkung von Milch auf Osteoporose zu übernehmen, ist schleierhaft.

Wer sich für weitere Studien zu Milch in Bezug auf andere Erkrankungen wie z.B. Prostatakrebs interessiert, findet einiges beim Zentrum für Gesundheit mit guter Quellenangabe.

Die glückliche Kuh oder das Ausblenden der Realität

Vorsichtig formuliert lässt sich feststellen, dass der gesundheitliche Nutzen von Milch nicht belegt ist – und das bereits, ohne die möglichen Folgen von Antibiotikagaben oder Wachstumshormonen betrachtet zu haben. Das ist alleine sicher kein Grund, mit dem Konsum von Milch und Milchprodukten aufzuhören. Schließlich trinken wir auch Limonade und essen Chips oder Pommes, obwohl deren gesundheitlicher Nutzen zumindest fraglich ist. Und nicht wenige Menschen sagen, dass sie nicht vegan leben können, weil sie so gerne Joghurt oder Käse essen. Wir haben uns alle an bestimmte Nahrungsmittel gewöhnt und diese lieben gelernt. Das führt dazu, die unangenehme Realität auszublenden und sich eine schönere Welt auszumalen. So stellen sich viele Milchkonsument_innen gern die glückliche Kuh auf der Weide vor, die einen Namen hat und froh ihr Gras frisst, obwohl dies mit der Realität wenig zu tun hat. Das wahre Leben einer Milchkuh sieht ganz anders aus. Zum Ausblenden der Realität gehört auch zu übersehen, dass die Milchviehwirtschaft stark zur Klimaerwärmung beiträgt, die käseverzehrenden Vegetarier vergessen gern, dass Käse häufig mit Lab hergestellt wird.

Oftmals ist uns nicht bewusst, welche „Märchenbilder“ unser Denken bestimmen und welche Realitäten wir dafür ausblenden. Sich mit den Zuschreibungen von Milch zu beschäftigen, diese ins Bewusstsein zu rufen, sie zu entmystifizieren, macht freier, sich für den Weg zu entscheiden, den wir alle lieber gehen wollen: zu einem Leben ohne das vermeidbare Leid von Menschen und Tieren.

Es gibt immer mehr gute Alternativen zur Milch

Vielen Menschen fällt der Verzicht auf Milch und Milchprodukte schwer – inzwischen hat sich im Bereich pflanzlicher Alternativen allerdings einiges getan: Neben den bekannten Varianten aus Soja finden sich Produkte aus Hafer, Dinkel und Reis (siehe auch: „Ist Milch aus Pflanzen eine Alternative?“, BR Faszination Wissen, Sendung vom 14.4.2014) mit Vanille-, Schoko- oder Chaigeschmack sowie Mischungen verschiedener Milchsorten. Soja- und Reismilch sind mittlerweile fast überall erhältlich, auch Reis-Kokos, Mandel- oder Haselnussmilch gibt es in vielen Lebensmittelgeschäften. Im Gegensatz zu tierlicher Milch lässt sich Pflanzenmilch darüber hinaus nicht nur kaufen, sondern einfach, preisgünstig und ohne die Verwendung umweltschädlicher Verpackungen selbst herstellen. Auch die übrige Milchersatzproduktpalette wird immer umfang- und variationsreicher: Veganer Käse ist inzwischen durchaus genießbar und in zahlreichen Sorten zu haben, Eis und Sahne sind vom Gewohnten kaum noch zu unterscheiden, sogar Sauerrahm und Quark sind verfügbar.

Trotz allem stehen wir noch am Anfang, aber die nächsten Jahre werden sicher viele neue Entwicklungen und Entdeckungen bringen. Wer Milch und Milchprodukte vom Speiseplan streicht, fördert die Entwicklung spannender veganer Produkte und Rezepte, die einen möglichen Verzicht mehr und mehr erleichtern. Bis dahin schaut man sich immer wieder mal dieses schöne Video an.