Naomi Klein ist eine weltbekannte Klimaaktivistin und Autorin. Am Sonntag, dem 23. März, hielt sie einen Vortrag im Haus der Kulturen der Welt hier in Berlin. Ich kannte nur ihren Namen, aber keines ihrer Bücher, und war dementsprechend neugierig. Schade nur, dass dieses Gefühl im Laufe des Vortrages einem anderen, weniger angenehmen weichen musste, nämlich dem der Enttäuschung. Aber eines nach dem anderen.

Der Titel von Kleins letztem Buch lautet „Klima versus Kapital – Die Entscheidung“. Ihrer Ansicht nach ist der Kapitalismus einer der größten Störfaktoren, welche einem effektiven Klimaschutz im Wege stehen. Das ist gut nachvollziehbar. In einem System, in dem sich alles dem Dogma eines ständigen wirtschaftlichen Wachstums unterordnen muss, kann ein vorsichtiges, nachhaltiges Wirtschaften kaum durchgesetzt werden. Sie wies darauf hin, wie unglücklich der Zeitpunkt der Entdeckung des Klimawandels gewesen sei, nämlich in den späten achtziger Jahren. Der Kommunismus ging unter, der Neoliberalismus hatte seine große Blütezeit. Anstatt Emissionsbegrenzungen einzuführen, sollte der Markt alle Probleme lösen, auch die des Klimas. Bestes Beispiel dafür ist der Versuch, die Emissionen durch einen Handel mit Emissionsrechten zu senken. Dieser Versuch läuft auch heute noch und ist grandios gescheitert.

Da der Kapitalismus in seiner derzeitigen Form aber auf vielen verschiedenen Ebenen negative Folgen hat, hat er auch ganz unterschiedliche Kritiker. Klein fordert, dass sozialer Protest und Klimaschutzaktivismus zusammenarbeiten. Schließlich haben sie ein gemeinsames Ziel: eine bessere Welt, in der anständig mit Mensch und Umwelt umgegangen wird.

Soweit eine ganz kurze Zusammenfassung des Vortrags, dem ich in dieser Kürze natürlich nicht gerecht werden kann. Jedenfalls spürte ich nach etwa zwanzig Minuten ein Jucken am Gehirn, irgendwo in der Nähe des auditorischen Cortex. Es war mir, als spräche Klein die ganze Zeit an etwas vorbei, was nach allen Regeln der Logik genau jetzt in ihrem Vortrag auftauchen müsste. Sie sprach vom Artensterben, davon, dass ihr jetzt zweijähriger Sohn vielleicht keine Elche oder Seesterne mehr sehen würde – da wurde das Jucken stärker. Sie sprach von der sozialen Gerechtigkeit, die eine wichtige Forderung des Klimaschutzes sein musste – und wieder nahm das Jucken zu. Sie sprach von der kognitiven Dissonanz, dem seltsamen Zustand, der im menschlichen Hirn herrscht, wenn das, was moralisch richtig ist, ganz anders ist als das, was um einen her passiert. Und da juckte es so sehr, daß ich mir am liebsten mit den bloßen Händen den Schädel aufgerissen hätte, nur um mich endlich, endlich an meinem Gehirn zu kratzen, aber da war es soweit, es wurde mir klar, welche Wörter ich endlich hätte hören sollen, aber einfach nicht zu hören bekam:

Viehwirtschaft.

Nutztierhaltung.

Veganismus.

Denn was ist die führende Ursache des Artensterbens am Land und in der See? Die Viehwirtschaft und der Fischfang. Was ist die Hauptursache des Welthungers? Die Viehwirtschaft, welche riesige Mengen an Getreide verfüttert, mit denen man genauso gut Menschen ernähren könnte. Wer verschmutzt das Wasser mehr als jeder andere? Die Viehwirtschaft. Wer zerstört das Klima durch einen enormen Ausstoß von Methan? Die Viehwirtschaft. Und dann die soziale Gerechtigkeit: Wie gerecht ist es, einen Großteil der Tiere dieser Welt ausschließlich als Produkt für den menschlichen Konsum zu definieren?

Da saß ich also in einem großen Saal, umgeben von Hunderten wissbegierigen Leuten, alles Menschen, die sich über Klimaschutz Gedanken machen, und ich höre einen Vortrag von einer guten Stunde, und das Wort „Viehwirtschaft“ fällt kein einziges Mal, und das Wort „Veganismus“ schon gar nicht. Nicht, daß mit dem Veganismus alle Probleme schlagartig gelöst wären! Natürlich gibt es andere Faktoren. Natürlich ist es wichtig, nicht noch mehr Braunkohle zu verfeuern, das Fracking zu stoppen und auf erneuerbare Energie umzusteigen. Aber wie kann man allen Ernstes von Klimaschutz sprechen wollen und dabei nicht im Geringsten auf das Thema der industriellen Tierhaltung eingehen?

Auf meine Frage diesbezüglich antwortete sie ausweichend. „Freiwilliger Vegetarismus“ sei möglicherweise hilfreich, aber die Verantwortung dürfe nicht schon wieder auf den einzelnen Bürger gelegt werden. Wer aber außer dem einzelnen Bürger soll die Verantwortung für das tragen, was er isst? Wer außer dem einzelnen Bürger soll sich organisieren und Veränderungen anstoßen, wie es viele Klimaaktivisten in bewundernswerter Weise getan haben? Mir scheint, Naomi Klein ist auf dem veganen Auge blind; warum, darüber kann ich nur spekulieren. Vielleicht will sie ihre Leser und Unterstützer nicht vor den Kopf stoßen. Vielleicht leidet sie selbst unter der Vorstellung, die Nutztierhaltung sei normal und alternativlos. Vielleicht schreckt sie auch davor zurück, moralische Forderungen an ihr Publikum zu stellen, denn veganes Leben gilt für viele immer noch als ein großer Verzicht.

Als das Jucken in meinem Gehirn nachließ, blieb nur eine gewisse Traurigkeit zurück. Ich mag die Klimaschützer, ich sehe ihr Anliegen auch als mein eigenes, und ich hoffe sehr, dass sie eines Tages mein Anliegen auch als das ihrige verstehen werden.

„You can’t be an environmentalist and eat animal products, period.
Kid yourself if you want, if you want to feed your addiction so be it.
But don’t call yourself an environmentalist.“
 – Howard Lyman

P.S.: In eigener Sache hänge ich eine kurze Werbung an. Am 12.4. um 18 Uhr zeigt das Kino Moviemento in Kreuzberg den Film Cowspiracy, in dem genau dieses Thema behandelt wird. Warum beschäftigen sich die meisten Umweltaktivisten kaum mit dem Thema Massentierhaltung und Veganismus?

P.P.S.: An jenem Abend stellte Luise Neumann-Kösel die Genossenschaft BürgerEnergie Berlin eG vor, die das Berliner Stromnetz vom Vattenfallkonzern zurückkaufen möchte. Eine Genossenschaft braucht Genossenschaftler, also seht euch die Sache einmal an: http://www.buerger-energie-berlin.de/.